Die Reggio-Pädagogik benennt 3 Erzieher. Das Kind wird als erster und ihr eigener Erzieher benannt. Jedes Kind bringt eine natürliche Neugierde mit auf die Welt. Es ist begierig sein Umfeld zu erforschen und zu verstehen. Und in dem es das tut, „formt“ es sich selbst.
Prof. Manfred Spitzer führt in seinem Buch „Lernen“ am Beispiel des Spracherwerbs folgendes aus:
„Wären Kinder auf eine lerngerechte Reihenfolge sprachlicher Erfahrungen angewiesen, so hätte wahrscheinlich keiner von uns je Sprechen gelernt. … Da gelernt wird, was verarbeitet werden kann, lernt es zunächst einfache sprachliche Strukturen. Das geschieht nicht, weil ihm zunächst einfache Strukturen beigebracht werden, sondern weil es zunächst nur einfache Strukturen verarbeiten kann. Es sucht sich aus, was es lernen kann… Das Gehirn reift in diesem Prozess und lernt. Dabei greift es immer wieder auf Bekanntes zurück, vertieft dieses, fügt neues hinzu, wird komplexer … und damit ist gewährleistet, dass es in der richtigen Reihenfolge und dem richtigen Tempo lernt.“ ( Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens; Manfred Spitzer, 2006, Seite 233ff)
Dies klingt einleuchtend und banal. Ist es auch. Und dennoch wird im Umgang mit Kindern eher selten danach verfahren. In Praxis geben wir vor zu wissen, was und vor allem wie es lernen soll.
Zum besseren Verständnis möchte ich ein kleines Erlebnis erzählen:
Wir verbrachten einige Urlaubstage gemeinsam mit unserem Enkel, 2 ½ Jahre, in einem Hotel. Wir hatte Zimmer auf der 8. Etage. Da er sich gerade sehr für Zahlen interessierte, nutzen wir die Gelegenheit. Wir sahen uns gemeinsam die verschiedenen Zahlen an und wie diese aussehen. Die „8“ – das ist die Zahl mit den zwei Kreisen. Wir suchten in unserer Umgebung immer wieder nach der „8“. So hatte die Zimmernummer als erste Zahl eine „8“ und am Fahrstuhl war eine große „8“ zu sehen. Im Fahrstuhl ließen wir ihn den Knopf für die achte Etage drücken. Wenn er versehentlich eine andere Etage drückte, korrigierten wir und zeigten den richtigen Knopf.
Haben wir das Kind lernen lassen? Ja, natürlich. Allerdings nach unseren Vorstellungen und Regeln. Was hätte schon passieren können, wenn wir durch einen falschen Knopfdruck auf einer anderen Etage gelandet wären? Da wir korrigierend eingegriffen haben, haben wir das Kind um eine wichtige Erfahrung und Lernsituation gebracht.
Die Beobachtungen, die zur Entwicklung der Reggio-Pädagogik wesentlich beigetragen haben, sprechen in solchen Fällen davon, dass das Kind 100 Sprachen sprechen kann, wir ihm aber 99 davon nehmen. Eine Ursache dafür liegt darin, dass wir das Ergebnis denken – wir wollen in die 8 Etage. Das lernende Kind befindet sich aber auf dem Weg zum Ergebnis und manchmal nutzt es auch (in unserem Verständnis) Umwege. In der Reggio-Pädagogik ist der Weg entscheidend, denn dort findet das Lernen statt. Das Ergebnis ist nebensächlich.
Und was können wir mit dieser Erkenntnis anfangen? Diese Frage kann sich nur jeder selbst beantworten. Und das habe ich gelernt:
Jedes Kind findet, vorausgesetzt man lässt es, eigene Wege, eigene Herangehensweisen sich die Welt zu erschließen. Je mehr ich den Suchprozess und das sich ausprobieren zulasse ohne belehrend einzugreifen, um so mehr an Erfahrungswelt bieten ich ihm an. Methodisch gesehen ist für mich das Vorgehen nach Versuch – Irrtum der effektivste (wenn gleich nicht zeitlich kürzeste) Lernweg – ausprobieren, das Ergebnis mit der Wunschvorstellung abgleichen und möglicherweise neu probieren. Meine Aufgabe ist es, das Kind zu ermutigen. Nur so lernt es auch mit Rückschlägen umzugehen. Kurz – Denken und Probieren zulassen und nicht abnehmen.
Es gibt viele schöne Spielsachen. Sie versprechen wertvoll und pädagogisch geprüft zu sein. Doch welche davon regen den Forschergeist wirklich an? Gegenstände aus dem Alltag oder gesammelte Materialien laden häufig zu einem viel intensiveren Spiel ein. Es entstehen ganz unterschiedliche und unerwartete Resultate. Etwas, was vorgefertigte Spielsachen nur bedingt können. Ich habe versucht mich an alte Spiele aus meiner Kindheit zu erinnern. So habe ich neulich mit meinem Enkel eine Bude aus zwei Stühlen, Decken und Klammern gebaut. Im Handumdrehen wurde eine „Bratwurstbude“ daraus.
Autorin: Dr. Kristina Schubert, Inhaberin: Institut für Selbstmanagement und Innovation, Dipl. Pädagogin, NLP-Trainerin und Lernbegleiterin
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