Am 21.11.2013 lud die SPD Landtagsfraktion genauer gesagt der Arbeitskreis für Bildung (AFB) zu einer Veranstaltung “ Kindertagespflege in Sachsen – wie weiter “ ins Cafe Tiefensee [Update: Seit Tiefensee Minister in Thüringen ist, wird das Bürgerbüro unter neuem Namen von Dirk Partner betrieben] in Leipzig. Dieser Einladung folgten vor allem wissbegierige Tagesmütter und ein Tagesvater (leider keine Eltern bzw. Platzsuchenden). Insgesamt nahmen etwa 20 bis 25 Personen teil.
Frau Claudia Ullrich-Runge referierte, als Mitarbeiterin am Deutschen Jugendinstitut in München, zum Projekt Entwicklung des Kompetenzorientierten Qualifizierungshandbuch Kindertagespflege (QHB) und lieferte wertvolle Informationen über den Ist-Stand und die Entwicklung der Kindertagespflege in Deutschland in den letzten Jahren. Wichtige Fragen, die sie ansprach, war vor allem die Entwicklung der Aus- und Weiterbildung sowie die Anerkennung der Tätigkeit in Bezug auf Berufserfahrung bzw. Weiterentwicklung zu einem Berufsbild. Mit vielen Zahlen und Fakten lieferte der Vortrag einen guten Einstieg in die spätere Diskussion.
Inhaltsverzeichnis
Grundqualifizierung und Zugang zur Kindertagespflege
Ein Ziel, des QHB-Projektes, formulierte Frau Ullrich-Runge in der besseren Grundqualifizierung bzw. Ausbildung der angehenden Kindertagespflegepersonen. Der einst vom Bundesverband Kindertagespflege durchgesetzte bundesweite Standard von 30 Stunden im Grundkurs sowie weiteren 160 Stunden (DJI-Curriculum) berufsbegleitend in den ersten 3 Jahren der Tätigkeit sei in vielen Bundesländern schon längst angestiegen. Quereinsteiger absolvieren heute schon vor dem Ausstellen der Pflegeerlaubnis deutlich mehr als 30 Stunden.
Das Deutsche Jugendinstitut in München greift dieses Modell für das QHB auf. Vor dem Erlangen der Pflegeerlaubnis soll die Anzahl der Praktikumsstunden deutlich erhöht werden . Am Ende erreichen Kindertagespflegepersonen schon in den ersten 3 Berufsjahren insgesamt 300 Stunden Aus- und Weiterbildung. Von der Stadt Leipzig wünschte sich Frau Ullrich-Runge, dass sie die Kindertagespflege als feste Säule der Kinderbetreuung weiter fokussiert und diese (positiv) bewirbt bzw. stärkt. Den anwesenden Tagesmüttern und -vätern empfahl sie ihr Profil weiter zu schärfen und die qualitativen Stärken bzw. Unterschiede zur Kindertagesstätte stärker klarzustellen bzw. raus zuarbeiten. Sie vertritt die Meinung, dass die Kindertagespflege nur so als separates eigenständiges und vollwertiges Betreuungsangebot gleichberechtigt zur Kita (weiter) existieren kann. Nur, wenn Mütter und Väter die vielen positiven Aspekte der Kindertagespflege kennen, können sie sich objektiv und selbstbewusst für diese Betreuungsform und -qualität entscheiden.
Kindertagespflege in Sachsen und Leipzig
Vom örtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe (Fachaufsicht) und als verantwortliche stellvertretende Abteilungsleiterin für Kindertagesstätten und Freizeiteinrichtungen im Amt für Jugend, Familie und Bildung der Stadt Leipzig nahm Frau Uta Weise für die Stadt Leipzig teil. Sie stellte vor allem die rasante Entwicklung und den Stellenwert der Kindertagespflege in Leipzig seit 2004 dar. Nach ihren Angaben werden in Leipzig 572 Kindertagespflegepersonen von ca. 17 Trägern fachlich betreut und begleitet. Mit dieser großen Anzahl steht Leipzig der Landeshauptstadt Dresden in nichts nach. Sie informierte die Anwesenden, dass die Stadt Leipzig die Aufwertung des Berufsbildes Kindertagespflege allein nicht bewältigen kann, da im Grunde, dass Kultusministerium und damit das Land Sachsen für diesen Punkt verantwortlich sei.
Weiterbildungsangebote in Leipzig
Positiv äußerte sie sich zur Weiterbildungssituation in Leipzig und verwies für 2013 auf 4 von der Stadt Leipzig organisierte Fachtage für Kindertagespflege. Einige Tagesmütter zeigten sich hier wenig beeindruckt und stellten fest, dass die vorhandenen und für sie geeigneten Weiterbildungsangebote in Menge und Tiefe ungenügend seien und, wenn mal „was gutes“ dabei ist, sei es gleich ausgebucht. Sie forderten hier mehr Engagement von ihren Trägern und der Stadt Leipzig als Fachaufsicht. Vor allem gaben sie zu Bedenken, dass die Qualität der Weiterbildungsangebote mit dem Referenten bzw. dem anbietenden Bildungsträger steht und fällt. Diese Qualität sei eher mittelmäßig. Oft fehlt es den Referenten an Erfahrung und Bezug zur Arbeit in Kindertagespflege. Frau Weise dagegen sucht händeringend fachlich gut geeignete Referenten und bat in der Veranstaltung darum ihr entsprechende Empfehlungen zu schicken.
Rechtsanspruch und Betreuungsgarantie!
Die AFB Sachsen, vertreten durch Herrn Hassan Soilihi Mzé, wollte von Frau Weise, Frau Ullrich-Runge und den anwesenden Kindertagespflegepersonen wissen, welche Anforderungen und Wünsche sie für die zukünftige Arbeit in der Kindertagespflege mitnehmen und formulieren kann. Die Antworten darauf waren weniger einheitlich und umfangreich als angenommen. Einige wünschten sich, dass das Fortbestehen der Kindertagespflege und ihrer Existenz (wenigstens bis zum Renteneintritt) gesichert bleibt – stellten jedoch in Frage, ob die Stadt Leipzig bzw. das Land Sachsen, dass überhaupt leisten können und wollen.
Einige forderten vor allem die Anerkennung der Berufserfahrung und die Aufwertung zu einem Berufsbild und manch einer wünschte sich, dass sich die Stadt Leipzig, besonders das Jugendamt, positiv gegenüber den Platzsuchenden positioniert und in seiner Beratung explizit die Stärken der Kindertagespflege (besser) raus arbeitet. In einigen Statements schwangen existenzielle Sorgen in Bezug auf Auslastung und dem Wunsch- bzw. Wahlrecht der Eltern mit. Mütter und Väter hätten generell immer noch (zu) viele Vorurteile in Bezug auf die Kindertagespflege und auch die Fragen, nach Urlaubs- und Vertretungsregelungen bzw. Öffnungs- und Schließzeiten würden vor der Frage nach dem eigentlichen Tun bzw. dem Konzept kommen.
Zusammenarbeit mit Kindertagesstätten
Schon sehr viele Jahre leben die Kindertagesstätten und Schulen eine ausdrücklich gewünschte, geforderte und im sächsischen Kindertagesstättengesetz verankerte Kooperation Kita-Schule/Hort . Der größere Teil der anwesenden Kindertagespflegepersonen gab an, dass die Kooperation zwischen den Kindertagesstätten und der Kindertagespflege einen viel höheren Stellenwert benötigt. Vor allem die Tagesmütter und -väter seien aus ihrer Sicht hier die Initiatoren und versuchten mit wohnortnahen Kindertagesstätten (meist vergeblich) ins Gespräch zu kommen. Frau Weise freute sich ihrerseits über eine kommunale Einrichtung, welche die Zusammenarbeit mit einer Tagesmutter zur besseren Ausgestaltung des Bildungsüberganges von Kindertagespflege zu Kindertagesstätte in ihr Konzept aufgenommen hat.
Von den anwesenden Kindertagespflegepersonen äußerte sich eine zu einer wirklich bestehenden aktiven Zusammenarbeit mit der Kindertagesstätte ihres eigenen Trägers. Die anderen Tagesmütter und -väter reagierten eher verhalten und führten aus, dass sie zwar in der Regel die Kindertagesstätte einmal besuchen würden, wenn ein Wechsel des Tageskindes anstehe, jedoch ein wirklicher und permanenter Austausch müßig sei und von Kindertagesstätten nicht generell gewünscht ist bzw. für notwendig erachtet wird. Hier sahen sie ihre eigenen Träger sowie auch die Stadt Leipzig als Fachaufsicht noch mehr in der Pflicht die Kooperationsbereitschaft mit der Kindertagespflege zu verbessern bzw. zu verordnen.
Zusammenarbeit mit den Trägern und der Wunsch nach (guter) Fachberatung
Dem Wunsch nach Kooperation mit den Kindertagesstätten folgte natürlich auch das Gespräch über die Kooperation mit den Trägern. Bis auf Frau Weise waren keine weiteren Trägervertreter zur Veranstaltung erschienen. Im Nachgang fragte eine Tagesmutter sogar beim Veranstalter nach, wie man die Veranstaltung publiziert hat und wer eingeladen war bzw. als Multiplikator angesprochen wurde. Frau Weise verwies darauf, dass die Trägerpluralität in Leipzig ein Alleinstellungsmerkal ist. Sie freute sich, dass diese Trägerpluralität auch für die Beratung und Begleitung von Kindertagespflegepersonen gilt. Die Kindertagespflegepersonen äußerten sich ihrerseits eher besorgt und verhalten über diese fachliche Beratung. In getätigten Redebeiträgen hörte man heraus, dass, „wenn man denn mal den Mund aufmacht“ schneller als einem lieb ist, mit Kündigung gerechnet werden müsste.
Bedauerlicherweise ging man diesbezüglich eher zaghaft im Thema weiter. Frau Schlegel, Geschäftsführerin der Familienfreund KG, äußerte sich besorgt darüber, dass die Träger oft in einer Doppelrolle und Verantwortung gefordert seien. Zum einen schaffen sie zahlreiche Betreuungsplätze vorwiegend durch den Ausbau und Bau von Kindertagesstätten, zum anderen sollen sie gleichwertig die bestehenden Kindertagespflegestellen erhalten, vermarkten und mit „Kindern vollmachen“. Der institutionelle Ausbau der Kinderbetreuung hat seit 2008 schon allein durch das geschaffene Bundesprogramm an Fahrt aufgenommen. Frau Ullrich-Runge führte in ihrem Vortrag aus, dass zwar auch bundesweit der Ausbau in Kindertagespflege zu genommen hat, jedoch von 2008 bis 2013 bei weitem nicht die geforderte Anzahl an Kindertagespflegeplätzen geschaffen wurde, die man hätte schaffen können.
Auch anwesende Tagesmütter und -väter führten aus, dass es immer wieder Belegungsprobleme und -unsicherheit bei Plätzen gebe und Kindertagesstätten mit Nachdruck auf suchende Eltern einwirken würden, indem sie signalisieren, wenn ihr den vorhandenen Platz nicht nehmt, kriegt ihr auch später keinen mehr. Die Tagesmütter und -väter sehen hier eine unglückliche Konkurrenzsituation und kein gleichberechtigtes mit- und nebeneinander, wie es im sächsischen Kindertagesstättengesetz verankert ist.
Klappern gehört zum Handwerk
Alle anwesenden Veranstaltungsteilnehmer waren sich in einem Punkt einig. Die Kindertagespflege muss noch stärker beworben und deren Vorzüge in den Vordergrund gestellt werden. Die Kindertagespflegepersonen müssen von ihrer Tätigkeit stets und ständig positiv berichten und sich in die Gespräche mit ihrem Umfeld bzw. dem Sozialraum begeben. Herr Kujawa von der familienfreund KG verwies noch einmal ausdrücklich auf das kostenfreie Angebot der Familienserviceplattform http://www.familienfreunde.de sein Angebot einzutragen und zu pflegen. Außerdem bot er an die 25.000 Besucher im Newsbereich jederzeit auch redaktionell mit eingesendeten Artikeln und Meldungen über die Arbeit der Kindertagespflegepersonen (nicht nur in Leipzig) zu informieren.
Eine Vision für die Kindertagespflege in Sachsen
Die Frage, was die Politik weiter für die Zukunft der Kindertagespflege in Sachsen tun kann, blieb etwas stiefmütterlich behandelt, offen. Ein Vorschlag wurde laut, dass sich doch bitte ein (Landes-)Politiker als Fürsprecher für Kindertagespflege und quasi Schirmherr für den Fortbestand der Kindertagespflege zur Verfügung stellen sollte. Herr Hassan Soilihi Mzé nahm die Sorgen und Wünschen der Kindertagespflegepersonen mit zum Landesvorstand der SPD und nannte diese Veranstaltung lediglich ein Auftakt vieler folgender Veranstaltungen zum Austausch mit Kindertagespflegepersonen in Sachsen.
Die Diskussion gibt es auch als Mitschnitt und Podcast: https://soundcloud.com/thomas-kujawa/2013-11-21-afb-pod-ktp-leipzig